Das Dokument zur Inszenierung
‚Keine Dauer, wie immer man sie sich vorstellen mag, kann auch nur gedacht werden ohne Menschen, die Zeugnis ablegen...’
‚...und da ja Tatsachen und Ereignisse die unweigerlichen Ergebnisse menschlichen Zusammenlebens und –handelns, die eigentliche Beschaffenheit des Politischen ausmachen, findet der Angriff auf diese Tatsachenwahrheiten in dem politischen Bereich selbst statt. Tatsachen stehen immer in Gefahr, nicht nur auf Zeit, sondern für immer aus der Welt zu verschwinden. ’
Hannah Arendt (Wahrheit und Politik)
Was ist ein Dokument? Als Theatermacher nähern wir uns dieser Frage direkter als Historiker*innen. Wir erforschen seinen emotionalen Gehalt und setzen es in einen dramaturgischen Rahmen. Wir betrachten es heute-hier, aus einer autobiographischen Perspektive.
Unser Recherche-Material besteht aus Dokumenten der Finanzbehörden, aus amtlichen Einlassungen und persönlichen Erinnerungen von einigen Wenigen der ungefähr 300 Überlebenden der sieben Derendorfer Deportationen. Zwischen 1941 und 1944 werden über den Schlachthof in Derendorf nahezu 6.000 jüdische Deutsche in die Vernichtung geschickt. Die persönliche Begegnung mit einer der Überlebenden dieses Genozids bestimmt den Kern unserer Inszenierung.
Nachdem ich Edith Bader-Devries bei einem öffentlichen Auftritt im November 2017 in der Düsseldorfer Christuskirche kennenlerne, verabrede ich mich mit Ihr im Februar 2018. Wir trinken Kaffee in einem Empfangsraum. Ein Rabbi kommt gerade in diese Einrichtung. Edith ruft ihn zu uns an den Tisch: „Ich kann heute nicht mitmachen, ich habe Besuch von der Konkurrenz. Darf ich vorstellen: Der Herr ist vom Theater.“ Beiseite: „Ich kann das alles nicht mehr so ernst nehmen.“ Augenzwinkern. Ein suchender Blick – ihr Klapp-Handy klingelt: „Meine Familie, sie kümmern sich so lieb um mich. Entschuldigung! Ja, Hallo? Ich bin da...“.
Im Tonstudio sprechen Schüler*innen der Arturo Schauspielschule die 6000 Namen der über den Schlachthof deportierten Menschen ein. Laufzeit: 6 Stunden.
Mit ihren Live-Zeichnungen dokumentiert Sabine Rixen in jeder Aufführung unterschiedliche Momente unserer gemeinsamen Reise.
In der Aufführung formen wir Erinnerungen heute-hier neu: Wir lösen den Text aus den Dokumenten heraus. Wir transkribieren ihn in die Gegenwart, ins Präsens - und ins ‚Du’.
Wir geben der Erinnerung eine Hülle, eine Form: Gipsgesichter und Masken von heute-hier lebenden Menschen. Gipsgesichter, Körper, Stimme und Musik werden zu Erinnerungsträgern. Wir erinnern uns an Dinge, die wir selbst gar nicht erlebt haben. Jede Zuschauergruppe geht mit einem Spieler/einer Spielerin durch den Stadtteil Düsseldorf-Derendorf, über eine mobile Box werden heute-hier die Namen der Deportierten abgespielt.
Edith Bader-Devries ist damals-hier ein Kind. Sie überlebt. Sie kehrt 1945 mit beiden Eltern aus Theresienstadt in ihr Heimatdorf Weeze am Niederrhein zurück. Sie bezeugt die Shoa mit Kinderaugen. Sie spannt von damals-hier einen Bogen der Empathie zur Situation der Geflüchteten heute-hier:
‚Nicht zu hassen, zu lieben bin ich da’ Dieses Zitat aus der ‚Antigone’ von Sophokles stellt sie ihrer Erinnerungsarbeit voran. Edith erreicht unser Gefühl. Sie fordert uns auf, Menschlichkeit und Solidarität zu zeigen. Antigone gegen Populismus! Das ist so schlicht, dass es weh tut - angesichts der Grausamkeit damals-hier, von der die Dokumente erzählen. Und angesichts der Vehemenz, mit der rechte Populisten heute-hier diese Kultur des Erinnerns angreifen.
Edith Bader-Devries besteht darauf, sich nicht abzuwenden und es jedes Mal aufs Neue zu riskieren: heute-hier - von Mensch zu Mensch. Danke Edith!
Andreas Schmid und das Ensemble des Karussells der Erinnerung
Hinweis: Bitte kontaktieren Sie uns wenn Sie den Film öffentlich zeigen oder als Unterrichtsmaterial nutzen wollen theaterkunst.koeln@gmail.com
Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
Das Dokument zur Inszenierung
‚Keine Dauer, wie immer man sie sich vorstellen mag, kann auch nur gedacht werden ohne Menschen, die Zeugnis ablegen...’
‚...und da ja Tatsachen und Ereignisse die unweigerlichen Ergebnisse menschlichen Zusammenlebens und –handelns, die eigentliche Beschaffenheit des Politischen ausmachen, findet der Angriff auf diese Tatsachenwahrheiten in dem politischen Bereich selbst statt. Tatsachen stehen immer in Gefahr, nicht nur auf Zeit, sondern für immer aus der Welt zu verschwinden. ’
Hannah Arendt (Wahrheit und Politik)
Was ist ein Dokument? Als Theatermacher nähern wir uns dieser Frage direkter als Historiker*innen. Wir erforschen seinen emotionalen Gehalt und setzen es in einen dramaturgischen Rahmen. Wir betrachten es heute-hier, aus einer autobiographischen Perspektive.
Unser Recherche-Material besteht aus Dokumenten der Finanzbehörden, aus amtlichen Einlassungen und persönlichen Erinnerungen von einigen Wenigen der ungefähr 300 Überlebenden der sieben Derendorfer Deportationen. Zwischen 1941 und 1944 werden über den Schlachthof in Derendorf nahezu 6.000 jüdische Deutsche in die Vernichtung geschickt. Die persönliche Begegnung mit einer der Überlebenden dieses Genozids bestimmt den Kern unserer Inszenierung.
Nachdem ich Edith Bader-Devries bei einem öffentlichen Auftritt im November 2017 in der Düsseldorfer Christuskirche kennenlerne, verabrede ich mich mit Ihr im Februar 2018. Wir trinken Kaffee in einem Empfangsraum. Ein Rabbi kommt gerade in diese Einrichtung. Edith ruft ihn zu uns an den Tisch: „Ich kann heute nicht mitmachen, ich habe Besuch von der Konkurrenz. Darf ich vorstellen: Der Herr ist vom Theater.“ Beiseite: „Ich kann das alles nicht mehr so ernst nehmen.“ Augenzwinkern. Ein suchender Blick – ihr Klapp-Handy klingelt: „Meine Familie, sie kümmern sich so lieb um mich. Entschuldigung! Ja, Hallo? Ich bin da...“.
Im Tonstudio sprechen Schüler*innen der Arturo Schauspielschule die 6000 Namen der über den Schlachthof deportierten Menschen ein. Laufzeit: 6 Stunden.
Mit ihren Live-Zeichnungen dokumentiert Sabine Rixen in jeder Aufführung unterschiedliche Momente unserer gemeinsamen Reise.
In der Aufführung formen wir Erinnerungen heute-hier neu: Wir lösen den Text aus den Dokumenten heraus. Wir transkribieren ihn in die Gegenwart, ins Präsens - und ins ‚Du’.
Wir geben der Erinnerung eine Hülle, eine Form: Gipsgesichter und Masken von heute-hier lebenden Menschen. Gipsgesichter, Körper, Stimme und Musik werden zu Erinnerungsträgern. Wir erinnern uns an Dinge, die wir selbst gar nicht erlebt haben. Jede Zuschauergruppe geht mit einem Spieler/einer Spielerin durch den Stadtteil Düsseldorf-Derendorf, über eine mobile Box werden heute-hier die Namen der Deportierten abgespielt.
Edith Bader-Devries ist damals-hier ein Kind. Sie überlebt. Sie kehrt 1945 mit beiden Eltern aus Theresienstadt in ihr Heimatdorf Weeze am Niederrhein zurück. Sie bezeugt die Shoa mit Kinderaugen. Sie spannt von damals-hier einen Bogen der Empathie zur Situation der Geflüchteten heute-hier:
‚Nicht zu hassen, zu lieben bin ich da’ Dieses Zitat aus der ‚Antigone’ von Sophokles stellt sie ihrer Erinnerungsarbeit voran. Edith erreicht unser Gefühl. Sie fordert uns auf, Menschlichkeit und Solidarität zu zeigen. Antigone gegen Populismus! Das ist so schlicht, dass es weh tut - angesichts der Grausamkeit damals-hier, von der die Dokumente erzählen. Und angesichts der Vehemenz, mit der rechte Populisten heute-hier diese Kultur des Erinnerns angreifen.
Edith Bader-Devries besteht darauf, sich nicht abzuwenden und es jedes Mal aufs Neue zu riskieren: heute-hier - von Mensch zu Mensch. Danke Edith!
Andreas Schmid und das Ensemble des Karussells der Erinnerung
Hinweis: Bitte kontaktieren Sie uns wenn Sie den Film öffentlich zeigen oder als Unterrichtsmaterial nutzen wollen theaterkunst.koeln@gmail.com
Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“